Samstag, Januar 19, 2008

Anfassen ist erlaubt



Von Mark-Christian von Busse

Die Klasse Neue Medien der Kunsthochschule stellt in der Caricatura aus
Vorsicht, Absturzgefahr: Marcel Klein hat Flugzeug-Filme, die das Verhalten in Notfällen illustrieren, mit beklemmenden Geräuschen unterlegt. Nichts für Menschen mit Flugangst.

Kassel. Jahrmarkt - das klingt wunderbar altmodisch, nach bunten Buden und Karussells, süßer Zuckerwatte und anderen klebrigen Genüssen. Jahrmarktskunst - so hat die Klasse Neue Medien von Professor Joel Baumann ihre Ausstellung genannt, die gestern Abend in der Caricatura eröffnet worden ist.

Ein durchaus selbstironischer Titel. Denn altmodisch ist hier gar nichts, wo PCs und Internet im Spiel sind, wo mit Licht und Elektronik experimentiert wird, wo eine Roboter-Hand zeichnet (bei Oliver Gerke) oder Filmaufnahmen von einem Bildschirm zum nächsten springen (bei Flaut Rauch). Jahrmarktskunst, das bedeutet aber auch, dass die Installationen nicht im White Cube des Museums stehen, sondern dass das Publikum anfassen darf - wie bei den Grabbeltischen, an denen es auf Märkten Schnäppchen zu machen gilt.

Der schreiende Ball etwa, das "Pendulum" von Felix Böttcher, ruft geradezu danach, berührt zu werden. Man kann ihn in den Arm nehmen oder wegboxen wie einen Punchingball. Er gibt unterschiedliche Geräusche von sich. Ist das Schmerz? Wohlbehagen? Der Ball, ein Störfaktor im Raum, wird zum Interaktionspartner.

Überall blinkt und tönt es, Tastaturen laden zum Tippen, Mäuse zum Klicken. Doch es ist mehr als technikverliebte Spielerei, die die Studierenden in der Caricatura vorführen, mehr als das Vergnügen zu basteln, zu schrauben, zu löten, alles auseinanderzunehmen und wieder neu zusammenzusetzen. Obwohl der Spaß nicht zu kurz kommt, wo ein "Roboter-Tamagochi-Tonapparat" als interaktive Skulptur bewegt werden kann. "Das macht abhängig", warnt ihr Erfinder Martin Böttger.

Anderes reflektiert die Rolle, auch die Leere der Technik um ihrer selbst willen. Tobias Hellwig etwa hat das langweiligste Spiel der Welt gebaut, "Borio", ein endloses Geradeaus-Autofahr-PC-Spiel. Wie lang hält man da durch? Bei Marcus Wendt meldet sich der Springteufel zwar auf Klopfen akustisch, die Zirkuskiste, in der er von sich hören lässt, bleibt aber zu. Auch seine anderen Objekte, etwa eine Muschel, handeln von Erwartungen und Enttäuschungen.

Marcel Klein hat Filme, die auf Notfälle in Flugzeugen vorbereiten sollen, mit beklemmenden Geräuschen unterlegt. Und Johannes Kaldens Heer von Mutantenfiguren schiebt sich, Lemmingen gleich, auf einen leuchtenden TV-Bildschirm zu. Und stürzt im letzten Moment in die Tiefe.

[source]

Labels: